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Thomas Rau

„Wer sich nicht verändert, wird die größten Veränderungen durchmachen!“

„Wer sich nicht freiwillig verändert, wird unfreiwillig die größten Veränderungen durchmachen müssen“, erklärt Thomas Rau im Interview. Der Architekt, Unternehmer und anerkannte Vordenker der Circular Economy spricht zudem über seine Vision von Zirkularität und die Herausforderungen einer Kreislaufwirtschaft.

Interview

Michael Scharpf, Leiter Nachhaltiges Bauen bei Holcim, im Gespräch mit Thomas Rau, Architekt und Vordenker der Circular Economy.

Herr Rau, Sie sind für Ihre steilen Thesen bekannt. Ich wage es trotzdem einmal: Was würden Sie machen, wenn Sie der CEO eines großen Beton- und Zementproduzenten wären?

Thomas Rau: Keinen Beton und Zement mehr verkaufen.

Im Ernst?

Thomas Rau: Da habe ich Sie erschreckt oder? Was ich meine: Beton ist ein sehr aufwendig herzustellender und deshalb sehr wertvoller Rohstoff, quasi Gold wert. Hersteller sollten deshalb dazu übergehen, solche werthaltigen Produkte nicht einfach zu verkaufen, sondern zu behalten und ihren Kunden die Performance ihrer Produkte über deren gesamten Lebenszyklus anzubieten.

Nicolas Schnabel
Pressesprecher
Tel.: 040 36 002 273

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„Lasst uns tun, was wir tun müssen, nicht was wir tun können.“

Thomas Rau

Okay, und wie könnte das in der Praxis aussehen?

Thomas Rau: Schauen Sie einfach mal auf andere Branchen wie die Elektronik- oder Autoindustrie, in denen Unternehmen wie Apple oder Tesla ganze Branchen mit neuen Geschäftsmodellen verändert haben. Der CEO eines großen Autoherstellers sagte mir vor kurzem, dass es ein großer Fehler seiner Branche sei, Autos einfach zu verkaufen. Man sollte sie stattdessen behalten und ständig updaten. Also wie gesagt nicht in die Produktion, sondern in die Performance investieren. Das würde natürlich nur dann nach Marktgesetzen funktionieren, wenn die Herstellung neuer Produkte entsprechend teuer wäre. Wohin wir uns aber angesichts immer knapper werdender Ressourcen und schärferer Umwelt-Auflagen wie den CO2-Abgaben sowieso langsam aber sicher entwickeln.

Wie realistisch ist das in dieser Radikalität, und wie kann ein Bausektor dorthin kommen?

Thomas Rau: Das geht natürlich nicht sofort, aber es sollte von mutigen und innovativen Unternehmen eingeleitet werden. Es ist mir schon klar, dass man das einem Automobilhersteller oder ein Beton- und Zementkonzern das schon kulturell nicht einfach verordnen kann. Aber er kann sich an Unternehmen beteiligen oder selbst Startups gründen, deren Geschäftsmodelle auf Service und Werterhaltung basieren. Übrigens sehen wir in der Praxis, dass bei Familienunternehmen Veränderungen ein selbstverständlicher Faktor in der Unternehmenskultur sind.

Architekt, Unternehmer und anerkannter Vordenker der Circular Economy.
Thomas Rau - Architekt, Unternehmer und anerkannter Vordenker der Circular Economy.

Ein interessantes Modell – dafür müssten sich doch aber erst einmal die politischen Rahmenbedingungen verändern.

Thomas Rau: Wer sich auf die Politik und Behörden verlässt, kommt nicht so schnell weiter wie erforderlich. Wir erwarten zurecht, dass Staaten und Institutionen ihre Rolle im Sinne der Gemeinschaft spielen. Tun sie aber nicht immer und wenn, dann viel zu langsam. Es kommt also auf die Unternehmen an. In den Niederlanden sind die Unternehmen viel mutiger und innovativer als beispielsweise in Deutschland, wo immer erst Bedenken vorgetragen werden. Doch gerade in diesen dynamischen Zeiten gilt für Unternehmen: Wer sich nicht freiwillig verändert, wird unfreiwillig die größten Veränderungen durchmachen müssen. Sie können sich entscheiden!

Biografie

Thomas Rau ist Architekt, Unternehmer und vor allem ein anerkannter Vordenker der Circular Economy. Seit vielen Jahren prägt er mit ungewöhnlichen Denkansätzen die Diskussion über Nachhaltigkeit, Ressourcenknappheit und den Einsatz erneuerbarer Energien in der Bauindustrie. 2013 wurde Thomas Rau, der in Amsterdam lebt und arbeitet, zum niederländischen Architekten des Jahres gewählt. Aus der Veröffentlichung seines vielbeachteten Buches „Material Matters“ (Econ Verlag ISBN 978-3-430-21075-1) resultierte 2017 u.a. die Gründung von Madaster, ein Online-Register für die Registrierung und Dokumentation von Baumaterialien.

Das würde eine ganz andere Wertschöpfungskette bedeuten, weg von der, wie sie in Ihrem Buch ‘Material Matters’ schreiben, Wertvernichtungskette.

Thomas Rau: Ich mag das Wort Wertschöpfungskette nicht, weil es nicht wahr ist. Wir brauchen vielmehr eine Verabredung aller Beteiligten für eine Werterhaltungskette. Also eine Verantwortungskette an Stelle einer Eigentumskette. Alle gemeinsam müssen wir konstante Veränderung kultivieren. Anders wird es keine Entwicklung geben.

Und wie sehen Sie die Zukunft der Bauindustrie?

Thomas Rau: Die Baubranche von heute hat keine Zukunft, wenn sie sich nicht so schnell wie möglich radikal verändert. Das Bauen von morgen wird vielmehr als heute ein logistischer Prozess mit dem Zwischenresultat Gebäude sein. Architekten müssen viel mehr über Materialien wissen und genauso wie Bauherren langfristig Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen. Wenn ein Projektentwickler beispielsweise 30 Jahre lang die Verantwortung für ein Gebäude behalten müsste, würden wir ganz andere und selbstverständlich auch nachhaltige Gebäude bekommen. Und ob wir es wollen oder nicht: Die Menschheit muss morgen mit den Materialien von heute eine neue Welt bauen. Materialen sind eben eine limited Edition im geschlossenen System Erde. Von Ressourcenknappheit kann daher keine Rede sein“.

(Copyright Titelbild: Juliette Polak)

Madaster

Digitaler Materialpass – Die Eintrittskarte in die Kreislaufwirtschaft

Während in einem Kataster Grundstücke verzeichnet sind, werden In der Madaster-Datenbank Gebäude einschließlich der bei ihrem Bau verwendeten Materialien und Produkte registriert. Im Madaster wird u.a. dokumentiert, wieviel Tonnen Stahl, Beton, Holz etc. in einem Gebäude verbaut wurden, in welchen Qualitätsklassen und wo das Material herkommt. Außerdem wird die Preisentwicklung des Materialwerts in der Zukunft fortwährend kalkuliert, wodurch der Abschreibungszyklus eines Objektes durch den permanenten Materialwert (im Durchschnitt bei 18 %) bestimmt wird und nicht bei 0 % endet: „Ein wertloses Gebäude wird nämlich organisiert durch wertvolle Materialien“.

Der MCI – Madaster Circular Index – indexiert den energetischen und arbeitstechnischen Aufwand mit dem das Material in den Wertekreislauf zurückgeführt werden kann. Dies erleichtert Immobilienbesitzer:innen und vielen anderen Stakeholdern die Einsicht in die Wiederverwendung der Materialen, unterstützt bei der Organisation und Verwaltung der Daten während des gesamten Lebenszyklusses der Objekte und bietet ihnen finanzielle Vorteile.

„Gebäude werden dank der Online-Datenbank zu Rohstoff-Banken“, freut sich Thomas Rau, der die Datenbank 2017 in den Niederlanden mitgründete. Dort ist der Materialpass bei Neubauten bereits ab 2023 Pflicht. Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten wie der Schweiz, Dänemark, Finnland, England, Luxembourg, Norwegen oder Belgien wächst die Plattform stetig. Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer der deutschen Madaster – Landesgesellschaft (mit Holcim als sog. „Kennedy“ Gründungsmitglied) erwartet bis Ende 2023 die Registrierung von mindestens 10.000 Gebäuden.

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