Prof. Dr.-Ing. Anja Rosen über das Thema Urban Mining und den von ihr entwickelten Urban Mining Index (UMI). Die Geschäftsführerin für den Bereich Nachhaltiges Bauen der energum GmbH ist zugleich Honorarprofessorin für zirkuläres Bauen an der Bergischen Universität Wuppertal.
In der Bau- und Immobilienwirtschaft lag der Fokus in der Vergangenheit klar darauf, Bauwerke möglichst schnell und kostengünstig zu realisieren. Die Fragen, ob und wie die eingesetzten Rohstoffe am Ende der Lebenszeit von Gebäuden genutzt werden könnten, stellten sich nicht. Angesichts der stark gewachsenen Bedeutung der Themen Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft gewinnt „Urban Mining“ aber rasant an Bedeutung. Vereinfacht gesagt, versteht Urban Mining die gebaute Umwelt als Rohstoffquelle – als urbane Mine. Damit dieses Prinzip funktioniert, muss allerdings bei jedem Bauwerk dessen Ende schon in der Planung mitgedacht werden.
Alle am Planungs- und Bauprozess beteiligten Akteure sind gefragt, damit dieser Wandel gelingen kann. Denn aufgrund der oben beschriebenen langjährigen Praxis fehlt es an Wissen darüber, wie man zirkulär plant und baut. Urban Mining steht daher – obwohl in aller Munde – noch ganz am Anfang. So schrumpfen die auf den ersten Blick beeindruckenden Recyclingquoten der Baubranche bei genauerer Betrachtung rapide. Denn in vielen Fällen, etwa bei der Verwendung von Betonabbruch als Tragschicht im Straßenbau, werden die Rohstoffe qualitativ nicht gleichwertig wiederverwendet („Downcycling“). Um das zu ermöglichen, ist es von größter Bedeutung, sortenreine Bauteile zu produzieren, die später entweder im Ganzen wiederverwendet oder gleichwertig aufbereitet recycelt werden können. Beispielsweise sind Verfahren zur sortenreinen Rückgewinnung und Wiederverwertung von Zement bereits in der Entwicklung. Wenn wir aber heute mit Beton bauen, verunreinigen wir den Baustoff oft mit Gipsputz, Bitumen oder ähnlichen fremden Stoffen und machen ihn nutzlos für die urbane Mine der Zukunft.
Modellprojekt rathaus korbach, hessen
Für das Modellprojekt Rathaus Korbach hat Anja Rosen aufseiten der PlanerInnen von der „ARGE agn heimspiel architekten“ im Auftrag des Landes Hessen erstmalig ein ganzheitliches Urban-Mining-Konzept entwickelt. Mit dem von ihr entwickelten UMI konnte dabei die Optimierung für das ressourcenschonende Bauen nachgewiesen werden. Im Rahmen einer quartiersbezogenen Stadtreparatur wurde der nicht sanierungsfähige Rathausanbau aus den 1970er-Jahren selektiv zurückgebaut. Die mineralischen Wertstoffe wurden ortsnah recycelt und im Neubau an gleicher Stelle direkt wieder eingesetzt. Der Bau wird wiederum nachfolgenden Generationen als „urbane Mine“ dienen, denn die Materialien wurden unter dem Gesichtspunkt der Recyclingfähigkeit ausgewählt. Auf Verklebungen und unlösbare Verbindungen wurde weitgehend verzichtet.
Konsequente Kreislaufwirtschaft
Eine Schlüsselrolle für den Erfolg des Urban Minings spielen ArchitektInnen und PlanerInnen. Um diese dabei zu unterstützen, den Kurs der Baubranche auf eine konsequente Kreislaufwirtschaft zu steuern, habe ich mit dem UMI ein Planungsinstrument für zirkuläres Bauen entwickelt. Es ist die erste Systematik, die die Kreislauffähigkeit von Baukonstruktionen quantitativ messbar macht und dabei sowohl die Qualität der zirkulären Materialverwendung als auch den Rückbauaufwand und die Wirtschaftlichkeit des selektiven Rückbaus in die Bewertung einbezieht.
„Bei jedem Bauwerk muss dessen Ende schon bei der Planung mitgedacht werden.“
Die systematische Erfassung von Baukonstruktionen ermöglicht die Berechnung und Bewertung der Kreislaufpotenziale und des CO2-Fußabdrucks auf Bauteil- und Gebäudeebene. Über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks werden alle eingehenden Materialien und alle daraus entstehenden Wert- und Abfallstoffe berechnet und nach den Qualitätsstufen ihrer Nachnutzung bewertet. Der Anteil der zirkulären Baustoffe an der Gesamtmasse aller im Lebenszyklus des Bauwerks verbauten Materialien beziffert das Ergebnis: den Urban Mining Indicator.
Mit dem Tool allein ist es aber nicht getan. Um recyclingfähigen Baustoffen zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es auch regulativer Maßnahmen. Denn deren Kosten liegen heute meist noch deutlich über denen von Primärrohstoffen. Um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen, kommen beispielsweise eine Besteuerung von Primärbaustoffen oder auch die Förderung der Recyclinglösungen infrage. Klar ist, dass es ein „Weiter so“ nicht geben darf – an Urban Mining führt auf dem Weg zum nachhaltigen Bauen kein Weg vorbei.
Zur Person
Anja Rosen,
Geschäftsführerin energum GmbH und Honorarprofesorinn für zirkuläres Bauen an der Uni Wuppertal