Unterschiedliche Herangehensweisen und kontroverse Diskussionen: Das 16. Holcim Bau-Forum lieferte unter dem Titel „Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft – Mit weniger mehr bauen!“ spannende Impulse zu den großen Themen der Baubranche.
Klimawandel auf der einen, Ressourcenknappheit auf der anderen Seite – die Art zu Bauen muss sich verändern. Doch wie können die dringend benötigten Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit in der Praxis lauten? Die insgesamt rund 320 Teilnehmenden am 16. Holcim Bau-Forum bekamen dazu die Perspektiven von Vertreter:innen diverser Disziplinen aus Bau und Architektur geboten.
Sowohl vor Ort in der Alten Hagenbeckschen Dressurhalle in Hamburg als auch virtuell über einen Live-Stream mit Chatfunktion konnte mitdiskutiert werden. In Hamburg wurde außerdem die Zeit genutzt, um in den Pausen Netzwerke zu pflegen und neue Kontakte zu knüpfen.
Thorsten Hahn: Klimawende heißt auch Zementwende
Eröffnet wurde das Bau-Forum von Moderatorin Silke Leinweber und Holcim Deutschland CEO Thorsten Hahn, der auch auf die geopolitischen Disruptionen der letzten Monate und ihre Folgen einging. „Für unsere Branche wächst damit die Dringlichkeit, sich zu transformieren“, so Thorsten Hahn.
Nicolas Schnabel
Pressesprecher
Tel.: 040 36 002 273
Um die gesellschaftliche Aufgabe der Branche zu erfüllen, müsse man „nicht weniger, aber besser, nachhaltiger und schneller bauen.“ Auch zur Verantwortung von Holcim beim Thema Klimawandel wurde Stellung bezogen: „Klimawende heißt auch Zementwende. Und die wollen wir an der Spitze vorantreiben – mit Ihnen!“, so Hahn.
Professorin Angelika Mettke: Man muss zeigen, dass es funktioniert
Wie die Transformation hinsichtlich Stoffkreislauf und Dekarbonisierung konkret aussehen kann, schilderten renommierte Referent:innen. Der Vortrag von Professorin Angelika Mettke, BTU Cottbus-Senftenberg, gab schon mit seinem Titel die Richtung vor: „Kreisläufe schließen muss normal werden“.
Die Pionierin des baulichen Recyclings berichtete von ihren Erfahrungen beim Recyceln von Betonbauteilen. Da bei der Nutzung der Elemente, abgesehen von Transportemissionen, kein neues CO2 freigesetzt wird, lassen sich mit ihrem Einsatz bis zu 95 Prozent CO2 gegenüber Neubauten einsparen.
„Man muss zeigen, dass es funktioniert – nicht nur auf dem Papier“, fasste Angelika Mettke ihre beeindruckenden Projekte zusammen. Die Nachnutzungsmöglichkeiten, etwa von den Elementen leerstehender Plattenbauten, reichen vom Wohnungs- über den Tief- bis zum Landschaftsbau und Küstenschutz.
„Klimawende heißt auch Zementwende. Und die wollen wir an der Spitze vorantreiben – mit Ihnen!“
Dr. Christian Bergmann: Spektakuläre Projekte
Aus einer anderen Perspektive widmete sich Dr. Christian Bergmann, Partner und Head of Architecture von Hadi Teherani Architects, dem Thema. „Architektur in Kreisläufen planen“ lautete der Titel seines Vortrags. Seine Vorstellung davon zeigte er anhand zahlreicher spektakulärer Projekte des weltweit agierenden Architekturbüros auf. Der Kreislaufgedanke geht für Bergmann über den Stoffkreislauf hinaus – auch Wissenskreisläufe müssten entstehen, sodass auch der immaterielle Kreislauf geschlossen werden kann.
Thomas Rau: Wir haben ein falsches System geschaffen
Auf Wissenschaft und Spitzenarchitektur folgte mit Thomas Rau (hier im Interview) ein Architekt, der vor allem als Vordenker der Kreislaufwirtschaft bekannt ist. Rau machte in seinem Vortrag deutlich, dass es neuer, radikaler Denkanstöße bedarf, kein Umdenken, sondern neues Denken. Kostprobe: „Wir haben ein falsches System geschaffen!“ Oder auch: „Bauen hat keine Zukunft“. Denn Rohstoffe sind limitiert. Deshalb bezeichnet Rau die Gebäude von heute als „Rohstoffquellen von morgen – zu Preisen von gestern“.
Das Gebäude wird zum Materialdepot, dessen Bestandteile aufgrund ihrer begrenzten Verfügbarkeit an Wert gewinnen und nach jeder Nutzungsphase erneut eingesetzt werden. Damit wird das Bauen zum logistischen Prozess. Aus dieser Überzeugung hat Rau Madaster gegründet: eine Datenbank für Materialien, die in Gebäuden verbaut sind. „Die Menschheit muss wissen: Wo sind die Limited Editions, also die Rohstoffe der Welt“, so Rau.
Madaster, von Rau zunächst in den Niederlanden gegründet, hat inzwischen mehrere Landesorganisationen – auch in Deutschland, wo Holcim dem Netzwerk 2021 beigetreten ist. „Wir müssen unser Verhältnis zur Welt anders gestalten“, schloss Thomas Rau seinen beeindruckenden Vortrag emotional ab.
Eindrücke
Impressionen des 16. Holcim Bau-Forums
Bau-Forum 2022: Podiumsdiskussion und Netzwerken
Nach einer Pause zum Netzwerken und Austauschen folgte eine Podiumsdiskussion, in der die Ansätze einem Faktencheck unterzogen wurden. Neben einigen der Referent:innen und Holcim CEO Thorsten Hahn auch dabei: Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer von Madaster Germany. Dieser betonte die Bedeutung der Digitalisierung für den Erfolg einer Kreislaufwirtschaft. Im Neubau sei diese durchaus umsetzbar, herausfordernder sei aber die Erfassung des Gebäudebestands.
„Wir müssen jede Renovierung als Neubau verstehen und dokumentieren“, so Patrick Bergmann. Thorsten Hahn schilderte die Herausforderungen aus Sicht des Unternehmens: „Wenn man Kreislaufwirtschaft richtig angehen will, muss man die ganze Firma transformieren“, so Hahn. „Wir nehmen eine neue Denkhaltung ein und entwickeln daraus ein neues Geschäftsmodell, das kurz gefasst lautet: Aus Beton muss wieder Beton werden.“
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Eine Diskussion wäre keine solche ohne kontroverse Positionen. So bezweifelte der Architekt Christian Bergmann, dass sich mit der Nachnutzung von Bauteilen die Herausforderungen im großen Stil lösen lassen und betonte, dass dadurch die Innovationskraft der Architekten beschränkt sei: „Stoffliches Recycling ermöglicht es, immer wieder neu zu entwerfen. Beim Bauteil-Recycling weiß man nie, wann welches Material anfällt.“ Angelika Mettke verwies in ihrer Replik auf den hohen Energieaufwand, den das stoffliche Recycling benötige und plädierte dafür, Abriss-Materialien dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden.
Arne Stecher: Holcim als First Mover
Im letzten Vortrag des Bau-Forums schilderte Arne Stecher, Leiter Dekarbonisierung Holcim Deutschland, den Umbau zum klimafreundlichen Unternehmen. Die Herausforderung lautet, das beim Brennen des Zementklinkers unweigerlich aus dem Gestein austretende CO2 aufzufangen, sodass es nicht in die Atmosphäre entweicht – und das Klimagas dann als Rohstoff in anderen Industrien zu nutzen.
Holcim sei „ein traditionelles Unternehmen, das ganz neu handeln muss“, so Arne Stecher. Wie Holcim dies angeht und wie weit die Projekte in den Zementwerken schon fortgeschritten sind, verdeutlicht die Zielmarke für die ersten klimaneutralen Werke: 2030. Damit belegte der Referent seine Ansage, Holcim wolle „First Mover“ der Dekarbonisierung sein.
Zum Abschluss eines inspirierenden und abwechslungsreichen Tages bleibt die Erkenntnis, dass der Austausch und Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Disziplinen essentiell für das nachhaltige Bauen der Zukunft sein wird. Das Holcim Bau-Forum wird dazu auch in den kommenden Jahren eine Plattform bieten.