Die Baubranche hat mit immer weiter steigenden Energie- und Rohstoffkosten zu kämpfen. Kein Wunder also, dass sich der Blick verstärkt auf Recycling-Möglichkeiten richtet. Viele ArchitektInnen, aber auch andere Unternehmen arbeiten derzeit daran, die Kreislaufwirtschaft in der Bau- und Immobilienbranche voranzubringen. Der Trend hat einen Namen: Urban Mining.
Die Verfügbarkeit von Ressourcen ist endlich. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber immer deutlicher. In der Baubranche ist der Rohstoffmangel bereits jetzt ein großes Problem, wie aktuelle Umfragen belegen. Im August 2021 beklagten knapp 43 Prozent der im Hochbau tätigen Unternehmen, unter Materialknappheit zu leiden. Zum Vergleich: Im März 2021 lag die Zahl bei etwa sechs Prozent. Die Gründe für die aktuellen Engpässe liegen allerdings nicht nur im begrenzten Angebot, sondern auch an der offenbar derzeit nicht zu bewältigenden Nachfrage: Dazu tragen der Wirtschaftsaufschwung in China, coronabedingte Lieferengpässe, der Wintereinbruch in den USA oder auch der Mangel an Frachtcontainern bei.
Dabei spielt es keine Rolle, welche Probleme aktuell den Markt beschäftigen. Eine Entspannung ist auf kurze Sicht nicht absehbar und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Trend anhält. Entscheidender ist langfristig, dass die Erde nur über ein begrenztes Lager an Rohstoffen verfügt: Sand, Eisenerz, Kohle, Kupfer, Chrom oder Kalkstein. Diese Rohstoffe sind existenzieller Bestandteil beim Bau von Gebäuden und der Trend geht dahin, die Städte immer weiter auszubauen, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
Von der Linie zum Kreis
Das Bauen der Zukunft muss sich an die Gegebenheiten anpassen, zumal in Deutschland mehr als die Hälfte (60 Prozent) des gesamten Abfallaufkommens auf Baustellen produziert wird. Untermauert wird die Dringlichkeit des Wandels durch den enormen Verbrauch, den der Baubereich mit sich bringt: Rund 40 Prozent aller Rohstoffe finden hier bis Ende des Lebenszyklus ihren Einsatz und wandern danach teilweis auf die Deponie – dabei wären die wertvollen Rohstoffe an anderer Stelle dringend gebraucht.
Auch aus Gründen des Klimaschutzes stellt sich verstärkt die Frage, warum beim Bauen bislang vorwiegend linear gedacht wird. Aus Sicht vieler ExpertInnen ergibt es durchaus Sinn, das System als Kreislauf und die Stadt als Vorratsspeicher an Materialien zu verstehen. Urban Mining nennt sich der Ansatz, der bestehende Bauwerke als Baustofflager deklariert, deren wertvolle Rohstoffe nach dem Abriss nur geborgen und neu verwendet werden müssen. Gleichzeitig definiert dieser Ansatz eine Neuausrichtung in der Baubranche, denn in der Konsequenz wird es darum gehen, durch Baustoff-Datenbanken die Voraussetzungen für entsprechende Materialketten zu schaffen.
„Die Nutzung alternativer Rohstoffe und das Schließen von Produktkreisläufen gehören zu den größten Herausforderungen der Baubranche.“
„Wir müssen die Städte viel stärker als bisher als urbane Minen begreifen“, forderte jüngst beispielsweise die Architektin Annette Hillebrandt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und auch Tim Janßen, Vorstand der Berliner Cradle to Cradle NGO, definierte auf dem Holcim Bau-Forum „Gebäude als Materialzwischenlager“ (siehe Interview auf Seite 10). Bislang, so bemängeln beide ExpertInnen, gebe es nur ein Downcycling. Anstelle der Wiederverwendung würden hochwertige Baustoffe einem minderwertigen Zweck zugeführt – so würden etwa Ziegel lediglich als Zuschlagstoffe im Straßenbau verwendet.
„Die Nutzung alternativer Rohstoffe und das Schließen von Produktkreisläufen gehören zu den größten Herausforderungen der Baubranche“, meint auch Holcim CEO Thorsten Hahn. „Wenn wir wollen, dass auch zukünftige Generationen noch ausreichend hochwertige Rohstoffe und Baumaterialien zur Verfügung haben, müssen wir neue Wege gehen und die Lebensdauer unserer Produkte verlängern. Als einer der führenden Baustoffhersteller wollen wir unsere Expertise auf diesem Gebiet nutzen, um zusammen mit anderen Partnern die Grundlage für Urban Mining zu schaffen. Wir müssen Teil der Lösung sein.“
Kreislaufwirtschaft braucht Datenbanken
Um Urban Mining für die Praxis tauglich zu machen und um diese Rohstoffbanken sinnvoll sowie nachhaltig nutzen zu können, sind Aufbau und Pflege von Datenbanken notwendig, in denen genaue Mengenangaben von recycelbarem Material aufgelistet sind. Vorreiter ist die niederländische Stiftung Madaster – ein digitales Kataster, in dem alle notwendigen Informationen zu Gebäuden und Materialien in einer Online-Cloud-Plattform hinterlegt sind.
wiederverwertung
„Unser Engagement in Netzwerken wie Madaster oder der re!source Stiftung ist für uns eine Möglichkeit, Impulse zu geben und uns mit anderen Unternehmen im Bau- und Immobiliensektor auszutauschen“, freut sich Hahn über das Angebot. „Das breite Netzwerk ist die Basis für eine Zusammenarbeit mit politischen EntscheidungsträgerInnen, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen zu können. Innovative Lösungen allein werden für eine Ressourcenwende nicht ausreichen – sie müssen auch umsetzbar sein.“
Neben der Umsetzbarkeit wird es um finanzielle Anreize gehen. Aktuell werden Gebäude über 25 bis 50 Jahre komplett abgeschrieben. Das könnte sich ändern, wenn Gebäude als Rohstofflager definiert und die Verkäufe aus recyclingfähigem Material bilanziell berücksichtigt werden. Noch viel zu tun für alle Beteiligten also.