Der Mensch müsse lernen, einen positiven Beitrag für das Klima zu leisten, sagt Prof. Michael Braungart. Im Gespräch mit Michael Scharpf, Leiter Nachhaltiges Bauen bei Holcim Deutschland, erklärt der Erfinder des Cradle2Cradle-Konzepts, was innovativen Beton ausmacht und wie eine klimapositive Baubranche aussehen könnte.
Interview
Michael Scharpf, Leiter Nachhaltiges Bauen bei Holcim, im Gespräch mit Michael Braungart, Erfinder des Cradle2Cradle-Konzepts.
Vor einem Jahr haben wir den Architekten und Pionier beim Thema Kreislaufwirtschaft Thomas Rau interviewt. Auf die Frage, was er als CEO von Holcim Deutschland tun würde, antwortete er: Keinen Beton mehr verkaufen. Wie würden Sie auf diese Frage antworten?
Michael Braungart: Das würde ich nicht empfehlen. Ich würde als Ziel ausgeben, dass wir nicht unser Klima weniger belasten, sondern aktiv zu dessen Verbesserung beitragen sollten. Sie müssen sich positive Ziele setzen, statt weniger schlecht sein zu wollen. Ähnlich wie ein Baum können wir gar nicht klimaneutral leben, sondern können vielmehr einen positiven Beitrag für die Gesellschaft und das Klima leisten. Diese Botschaft würde ich als CEO gerade an junge hochmotivierte Menschen senden, die etwas ändern wollen.
Sie sind schon lange Vorkämpfer des Cradle2Cradle-Ansatzes – sehen Sie Erfolge auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft?
Michael Braungart: Ich sehe schon einen sehr großen Erfolg darin, dass das Cradle2Cradle-Konzept inzwischen weltweit anerkannt und bereits vielfach umgesetzt wurde. Es gibt jetzt schon über 16.000 zertifizierte Produkte, die eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft besitzen. Mittlerweile wird das Konzept an Hochschulen gelehrt – Designerinnen und Designer gestalten Produkte, Verpackungen und Systeme von Anfang an so, dass es letztendlich keine Verschwendung gibt. Dass sich das Konzept so schnell durchsetzt, hätte ich aber nicht gedacht.
Nicolas Schnabel
Pressesprecher
Tel.: 040 36 002 273
„Ähnlich wie ein Baum können wir gar nicht klimaneutral leben, sondern können vielmehr einen positiven Beitrag für die Gesellschaft und das Klima leisten.“
Sie haben einmal gesagt: „Echte Innovation ist nicht nachhaltig”. Wie sieht denn innovativer Beton aus?
Michael Braungart: Ich würde mir eine Liste mit positiv bewerteten Betonadditiven wünschen. Derzeit werden verschiedene Additive wie Porenbildner, Abbindeverzögerer, Emulgatoren und Fließmittel eingesetzt, was zu einer Vielzahl von chemischen Substanzen im Beton führt. Dieselbe Vielfalt findet sich leider auch im Recyclingbeton. Die Idee besteht darin, die aktuelle Anzahl von etwa 300 Additiven auf etwa 100 zu reduzieren, um sicherzustellen, dass Beton effektiv in Kreisläufen verwendet werden kann. Langfristig wäre es das Ziel, Beton von Grund auf anders zu konzipieren. Betonbauteile weisen eine beachtliche Stabilität auf und können daher wiederverwendet werden. Leider geht durch die Verteufelung von Beton viel Kreativität verloren. Dabei ist Beton ein Lebensraum und so sollte er auch behandelt werden.
Wenn wir klimapositiv werden sollen, was bedeutet das für die Baubranche?
Michael Braungart: Es erstaunt mich, wie simpel Gebäude im Vergleich zu Bäumen konzipiert sind. Stellen Sie sich vor, wir könnten Gebäude erschaffen, die nicht nur als Schutz dienen, sondern auch aktiv die Luft und das Wasser reinigen, Lebensraum für andere Lebewesen schaffen und dabei nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv wirken. Im Vergleich zur Natur sind heutige Gebäude in ihrer Funktionalität begrenzt. Dennoch ist das Bauwesen von immenser Bedeutung, da mehr als die Hälfte aller Material- und Energieflüsse letztlich mit Bauprojekten verbunden sind.
Wie könnten klimapositive Gebäude ganz konkret aussehen?
Michael Braungart: Wir sollten Gebäude bauen, die nicht nur den Bedürfnissen der Menschen, sondern auch denen anderer Lebewesen dienen. Unser Fokus sollte darauf liegen, eine positive Auswirkung auf die Artenvielfalt zu haben und nicht weiteren Schaden zu verursachen. Vor Baubeginn sollten wir immer erst eine sorgfältige Bestandsaufnahme machen. So können wir feststellen, welche Arten besonderen Schutz benötigen. Auf diese Weise könnten geplante Gebäude dazu beitragen, Lebensräume für bedrohte Arten wie Mauersegler, Uferseeschwalben oder auch verschiedene Pflanzen zu verbessern. Das gleiche gilt für die Gebiete, in denen die Grundstoffe für Beton abgebaut werden. Auch hier können wertvolle Biotope entstehen, die besser für die Umwelt und die Artenvielfalt sind als die Landschaft vorher.
Was wäre denn ein guter Baustoff für klimapositive Gebäude?
Michael Braungart: Es geht mir nicht darum, einzelne Baustoffe als grundsätzlich besser oder schlechter darzustellen. Jeder Baustoff kann verwendet werden, solange er auch wiederverwendet werden kann. Es existieren sogar ideale Werkstoffe, auch im Rahmen der Cradle2Cradle-Prinzipien, die bisher jedoch nicht optimal integriert wurden. Ein gutes Beispiel ist Gips, der kontinuierlich mit gleichbleibender Qualität verwendet werden kann. Gips muss lediglich zerkleinert, mit Wasser vermischt und auf 136 Grad Celsius erhitzt werden, um seine identische Qualität dauerhaft beizubehalten. Solche Materialien sind sehr gute Cradle2Cradle-Materialien. Grundlegend sind aber neue gestalterische Ansätze erforderlich.
(Copyright Titelbild: Holcim)